Artikel vom 07.03.2022
Ortsverband Starnberg
Im Gespräch mit BVerfG-Präsident a.D. Hans-Jürgen Papier
Der CSU-Ortsverband Starnberg lädt seine Mitglieder und interessierte Gäste traditionell am Donnerstag nach Aschermittwoch zum Fischessen, um gemeinsam einen Vortrag zu hören und anschließend zu diskutieren. Pandemiebedingt konnte dies zum zweiten Mal nicht in der gewohnten Form stattfinden; es sollte aber auch nicht ersatzlos entfallen. Deshalb begrüßte die Ortsvorsitzende Charlotte Meyer-Bülow in diesem Jahr 32 Teilnehmer zu einer öffentlichen Videokonferenz; mit dabei u.a. Michael Kießling MdB, Ute Eiling-Hütig MdL, Starnbergs 1. Bürgermeister Patrick Janik und 2. Bürgermeisterin Angelika Kammerl.
Diesjähriger Vortragsgast war kein geringerer als der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und emeritierte Staatsrechtslehrer Hans-Jürgen Papier. Im Folgenden sollen einige Aussagen seines Vortrags, dem die Teilnehmer gebannt folgten, wiedergegeben werden:
„Die freiheitlich-rechtstaatliche Demokratie ist weltweit nicht auf dem Vormarsch, sondern vielmehr in Bedrängnis. In Deutschland und in der EU klagen wir jedoch auf hohem Niveau.“ Zwar habe Orban über die Option einer „illiberalen Demokratie“ phantasiert. In der EU wird jedoch grundsätzlich die Einheit der liberalen Demokratie nicht in Frage gestellt, die – wie die Ordnung des GG – auf den beiden Säulen der wirtschaftlichen Prosperität und der Herrschaft von Recht und Gesetz basiert.
Dass Vorsicht geboten ist, hätte sich an den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in besonderer Weise gezeigt. An der Verhältnismäßigkeit politischer Mittel, und seien die Zwecke auch noch so dringend, dürfe nicht gerüttelt werden. Grundrechte dürften auch in Notzeiten nicht unbegrenzt suspendiert werden; jede Einschränkung sei als angemessen und erforderlich rechtfertigungsbedürftig. Nur aus der Transparenz respektive Offenheit der Begründung respektive Rechtfertigung erwachse die Akzeptanz für die Einschränkungen, die deshalb von den gewählten Parlamenten zu beschließen seien und nicht aufgrund von Verordnungen der Länder. Im Verlauf der Corona-Pandemie habe der Vertrauensverlust in die Politik leider zugenommen.
Papier ging auf einige politische Streitfragen der letzten Jahre ein und beurteilte sie hinsichtlich verfassungsrechtlicher Einwände und Konflikte, darunter die die Ereignisse rund um das Thema Asyl/Migration im Jahr 2015. Herausgefordert sei der Rechtsstaat insofern, als „Moral, Humanität und Nächstenliebe gegen das Verfassungsrecht instrumentalisiert worden“ seien; Politik dürfe aber keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass das (wenngleich reformbedürftige) Recht ein geeignetes Instrument zur Problemlösung sei. Das subjektiv-individuelle Recht auf Asyl sei nicht zu verstehen als allgemeines Asylbewerberrecht; ein Asylantrag nicht als Recht auf Einreise und Aufenthalt. Bis heute werde in der Folge zu wenig dagegen getan, dass das Asylrecht als Einfallstor für illegale Einreise genutzt werde von Personen, die letztlich keinen Anspruch auf individuelles Asylrecht bekommen, deren Ausreisepflicht aus allerlei praktischen Gründen jedoch nicht durchgesetzt werde.
„In der pluralistischen Gesellschaft können nur Verfassung und Recht die notwendige Integration bewirken.“ Rechtliche Regulierung müsse jedes Übermaß vermeiden, müsse aber uneingeschränkt gelten und durchgesetzt werden. Die „ungeschriebene Grundpflicht“ gehe dahin, das staatliche Gewaltmonopol zu achten. Funktionsbedingung des Rechtsstaats sei auch, immer wieder die „Wertschätzung für gemeinwohlorientierte Selbstbeschränkung“ zu üben. „Gebraucht werden Tugenden der Politik und der Gesellschaft.“
Gegen alle populistischen Bestrebungen weg von der parlamentarischen Demokratie müsse der Sinn für die Repräsentation gestärkt werden. Das Grundgesetz habe ausdrücklich die Parteien vorgesehen als Mittler zwischen Bürgern und Institutionen.
Der Ukraine-Krieg sei zweifellos ein illegaler Angriffskrieg; die einseitige Anerkennung der sog. „Volksrepubliken“ schaffe keine Staatsqualität und schaffe somit keinen tragfähigen Grund für eine Intervention.
Bundeswehr: Die Aussage von Verantwortlichen der Bundeswehr, dass man militärisch „blank“ sei, sie nicht nur ein sicherheitspolitisches Manko, sondern lasse auch Verfassungsrechtler aufhorchen; Verteidigung habe im Grundgesetz Verfassungsrang, daher sei die angemessene Ausstattung für eine effiziente Aufgabenerfüllung eine gesetzgeberische Pflichtaufgabe. Dazu zweckgebundene „Sondervermögen“ außerhalb des Haushalts einzurichten sei mittels eines Gesetzes in engen Grenzen möglich; es dürfe aber nicht als Freibrief verstanden werden, beliebige Ausgaben aus dem Haushalt auszugliedern.
In der anschließenden Diskussion ging Papier u.a. auf den Begriff des „Verfassungsbruchs“ ein, der unglücklich sei, weil die allermeisten gerügten Verstöße ja vorab nicht auf unvertretbare Auffassungen zurückgingen, also politisch nicht bewusst angestrebt oder in Kauf genommen worden seien. Er ging auch auf das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber ein: Gelegentlich ginge das BVerfG zwar zu weit – beim Klimaschutz hätte das Gericht dem Gesetzgeber mehr politischen Spielraum lassen sollen -, an anderer Stelle sei es aber als Verteidiger der Parlamentsvollmacht über den Haushalt aufgetreten – so beim „Bremsen“ übertriebener Zentralisierungstendenzen der EU-Organe. Manchmal würde das Gericht auch problematische Festsetzungen „zu undifferenziert durchwinken“ – so bei der Pandemie-Bundesnotbremse. Alles in allem gebe es jedenfalls keine „Usurpierung der Politik“ durch die Verfassungsrichter.
Vortrag und Diskussion nahmen die für Online-Veranstaltungen ungewöhnliche Länge von zwei Stunden an. Die Teilnehmer dankten Prof. Papier am Ende mit langanhaltendem Applaus für seinen Vortrag.